#irrsinn Was die Amokläufe von Freising (2002) und München (2016) gemeinsam haben. Vierzehn Jahre politische Debatte und kein Unterschied


Ja! Ich habe mich geärgert, um nicht zu sagen ich habe mich regelrecht aufgeregt! Mit Frei­sing (2002) und München (2016) habe ich selbst direkt nach den jeweiligen Amokläufen zwei Städte im Ausnahmezustand erlebt. Aber haben wir, hat die Politik wirklich dazugelernt?

Eine persönliche Betrachtung der Ereignisse der letzten Woche finden Sie unter http://www.aussichten-online.net/2016/07/7790/

Zwei Amokläufe. Eine Antwort!

Freising, 19. Februar 2002
An meiner alten Schule, dem Dom-Gymnasium Freising, leistete ich gerade mein Lehramts­praktikum ab, als der Amokläufer Adam L. am 19.2.2002 den Schulleiter der Freisinger Wirt­schaftsschule Klaus C. erschoss. Auch wenn wir selbst, wie sich im Nachhinein heraus­stellte, einer direkten Gefährung nicht ausgesetzt waren, kann ich noch sehr gut an die be­drückende und angsterfüllte Stimmung erinnern. Über Klaus C. haben alle getrauert, ob sie ihn kannten oder nicht. Was verwunderte war, dass die Politik zumindest vordergründig sich nicht auf die sozialen und psychischen Ursachen für diese Katastrophe konzentrierte, aber sich spätestens nach dem Amoklauf von Erfurt an einem Verbot von Ego-Shootern festbiss.

München, 22. Juli 2016
An meiner Arbeitsstelle, der Bayerischen Staatsbibliothek, arbeitete ich am 22. Juli 2016 gerade die letzten Aufgaben ab, die vor dem Wochenende zu erledigen waren, als ich gegen 18:30 erfuhr, dass es am Olympiaeinkaufszentrum mehrere Tote gegeben habe. Auch wenn wir bis weit nach Mitternacht festsaßen und nicht nach hause konnten, waren wir trotz der vielen Falschmeldungen des Abends nicht in Gefahr. Unter den Toten war allerdings der 20jährige Dijamant Z. aus Oberschleißheim. Ich kannte ihn nicht, habe aber um ihn getrauert. Was mich schon beinahe bestürzte, war dass der Bundesinnenminister sich nicht zurück­hielt, das Spielen von Ego-Shootern in den Kontext amokartiger Gewalttaten zu stellen.

Ein Blick auf die Debatte

Eine Diskussion muss erlaubt sein!
Ja! Ich ärgere mich noch immer! Ich ärgere mich darüber, dass die Politik immer wieder zu einfachen Argumenten greift. Man mag eine Diskussion über die moralischen und ethischen Implikationen von Ego-Shootern führen. Damit habe ich kein Problem! Das Problem ist, dass eine solche Diskussion nur oberflächlich stattfindet und manche Bundesminister nur allzu gerne Klischees bedienen. Die Polizei hat an diesem schrecklichen Abend in München beste Arbeit geleistet und hierfür gebührt allen Einsatzkräften ein herzliches „Vergelt´s Gott“.

Wenn sie auf Tatsachen beruht!
Der Täter habe Opfer durch Kopfschüsse regelrecht hingerichtet und sich vermutlich an Killer­spielen orientiert, sagt aber Kriminaldirektor Hermann Utz. „Mein Eindruck war, der hat sich wie in einem Computerspiel bewegt.“ Stellt sich nur die Frage, wie sich Spieler in einem Computerspiel bewegen und auf Grundlage welcher Tatsachen Kriminal­direktor Utz dies einschätzt. Dass der Amokläufer seit langem einen komischen Gang hatte, indem er das linke Bein merkwürdig aufsetzte, interessierte fast niemanden.

Denn die Meinungen gehen eindeutig auseinander!
„‚Killerspiele‘ führen zu Amokläufen und gehören verboten — […] immer wieder die gleiche, sinnlose Diskussion. Stattdessen sollte man besser fragen, was wir eigentlich für diejenigen tun, die vor lauter Blutdurst weder ein noch aus wissen“, sagt Niels Kruse auf stern.de. „Wie kommt ein 18jähriger in Deutschland an eine 9mm-Pistole und 300 Schuss Munition? Hat er bestimmt in einem Killerspiel gekauft“, parodiert Jan Boehmernan auf twitter. „Computer­spiele als einfache Sündenböcke nach Amokläufen“, kontert Anna Biselli auf netzpolitik.org.

Resümee

Meines Erachtens spielen bei der Ursachenforschung für Amokläufe der immer weiter steigende Druck durch rigide Ausbildungssysteme (achtstufiges Gymna­sium, Bachelor- und Master-Studiengänge), die Liberalisierung des Arbeitsrechtes aber auch eine zunehmende Dissoziierung der Gesellschaft eine viel größere Rolle als Ego-Shooter. Es stört mich nicht, dass über Ego-Shooter kontrovers gestritten wird. Es stört mich aber, dass im Kontext von Amokläufen mal mehr mal weniger deutliche Schuldzuweisungen erfolgen. Das ist nicht mehr und nicht weniger als das Unvermögen der Politik, sich den wirklichen Probleme in unserer Gesellschaft und den wahren Ursachen für solche Katastrophen zu stellen.

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