#schleissheim Einsatz französischer Kriegsgefangener für die Schieneninstandhaltung (1914) »ᴀʟʟɢᴇᴍᴇɪɴ


sliusica generalia Nr. 78 [10.06.2021]

Ein Zeitungsbericht aus der frühen Zeit des Ersten Weltkrieges berichtet über den Arbeitseinsatz französischer Kriegsgefangener für die Instandhaltung der Schienen in Oberschleißheim. Der Artikel enthält – wie für die damalige Zeit üblich – Klischees über das Aussehen der aus Nordfrankreich stammenden Soldaten. Besonders betont wird aber, dass die Kriegsgefangenen nicht mehr arbeiten mussten, als einheimische Arbeiter. Positiv angemerkt wird ferner, dass einheimische Frauen die ausländischen Männer nicht mehr wie früher mit „Liebesgaben“ bedenken würden (zur Vorgeschichte vgl. sliusica generalia Nr. 61).  

München-Augsburger Abendzeitung Nr. 170 (8. September 1914)

Auf der Eisenbahnstrecke in Schleißheim werden einige dutzend französische Gefangene zur Ausbesserung des Schienenstranges verwendet. Es sind meist Nordfranzosen. Sie haben die typische hagere Gestalt, die dunklen Augen und schwarze Haare der Bewohner dieser Gegend. Fast schweigsam arbeiten sie im heißen Sonnenbrande, bewacht von Soldaten des Eisenbahner⸗Regiments mit aufgepflanztem Gewehr. Um die Mittagsstunde geht es zur Menage. Die Leute bekommen gute und kräftige Soldatenkost und man sieht es ihnen an, daß ihnen die „bayerische Militärküche“ vorzüglich schmeckt, denn alle entwickeln einen tüchtigen Appetit und löffeln die Menageschalen fein und säuberlich aus. Die Arbeitszeit entspricht der ortsüblichen und daher werden die Leute nicht übermäßig angestrengt. Unter der Leitung eines Bahnmeisters und seiner Gehilfen vollziehen sich die Arbeiten ohne großen Aufwand von Stimmitteln. Zumeist geschieht die Verständigung mit den Gefangenen durch die Zeichensprache und die wird von ihnen allen verstanden. Die Strecke ist nicht gar lang, welche täglich bearbeitet wird. Nach Feierabend bringt man die Gefangenen nach ihren Quartieren. Von den Soldaten des Eisenbahner⸗Regiments zu beiden Seiten geleitet, tritt der Zug seinen Marsch an, natürlich unter Nebenbegleitung von vielen Neugierigen. Im übrigen trägt das Publikum, das sich hier um die Gefangenen sammelt, der Situation Rechnung und läßt die Leute in Ruhe, auch werden an sie keine sogenannt Liebesgaben mehr, wie dies früher versucht wurde, verteilt. Wie man daraus ersehen kann, hat der Hinweis durch die Presse seine Wirkung getan und auch auf das „Ewig⸗Weibliche“ erzieherischen Einfluß genommen.

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